© Deutsche Mugge (2007 - 2025)
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Ein Bericht mit Fotos von Thorsten Murr



Engerling feiern ihr 50-jähriges Jubiläum - bei solchen Konzerten bekommt man von Zeit zu Zeit vor Augen geführt, wie alt man selbst schon ist. Als sich die Band gründete, war ich erst elf Jahre alt! Wahrgenommen, soweit ich mich erinnere, hatte ich sie dann so ab 1979 oder 1980, als mich ein Schulfreund auf "Mama Wilson" aufmerksam machte, was damals auch im Rundfunk lief. Die dazugehörige Platte hatte ich auch bald, und fortan war Engerling die Band, die für mich Blues war. Die mir den Blues vermittelte und die ihn mir gewissermaßen erklärte, zumal die erste Platte ja auch "Blues" heißt und einige Stücke enthält, die explizit vom Blues erzählen - etwa von Willie Dixon, der im Traum erscheint, oder von Al Wilson, dessen Kopf auf einem Stein liegt - oh Mann, starke Zeilen, starke Bilder, starke Musik - mein Einstieg in das unendliche Bluesmetier!

Und ja, diesen Schulfreund habe ich letzte Woche beim Klassentreffen in meiner alten Heimat wiedergesehen und ihm, noch beeindruckt von dem Konzert, um das es hier gleich geht und bei dem ich tatsächlich eine weitere gemeinsame Schulfreundin von damals wiedergetroffen habe, erzählt. Und dass ich immer, wenn ich Engerling höre oder sehe, unweigerlich an ihn denken muss. Und daran, wie wir damals mit unseren in Ungarn gekauften Hohner-Mundis und weiteren zünftigen Utensilien rumgezogen sind und uns sehr cool fanden …

Ausverkauftes Kesselhaus - na klar!
Nun also das 50-Jährige! Im seit Wochen ausverkauften Kesselhaus, wo doch eben erst das 35-Jährige stattgefunden hatte, nein, das 40er oder - richtig es war das 45+3! Egal, zu Engerling zu gehen, ist wie nach Hause zu kommen. Alles ist einem vertraut, alles ist einem lieb. Allein in diesem Jahr war ich der Band schon in Plauen, in Neustadt/Orla und im Striegistal begegnet - und es war immer großartig. Anfang des Jahres hatte ich schon mal angemerkt, dass ich den Eindruck habe, sie würden nicht altern. Vergleiche ich meine Fotos von "35 Jahre Engerling" 2010 mit den heutigen, sehe ich da allenfalls ein paar Unterschiede in der Bildqualität, die Jungs hingegen haben sich kaum verändert. Es gab eine Zeit, da traf man bei Konzerten auf Fans, mit T-Shirts, auf denen "Engerling - Lebenselixier" zu lesen war. Da scheint offenbar was dran zu sein.
 
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Wohl jeder weiß, Engerling sind heute nun schon seit rund 20 Jahren Bandgründer und -chef Wolfram "Boddi" Bodag, Keyboard, Mundharmonika und Leadgesang, Gründungsmitglied Heiner Witte an der Gitarre, Manne Pokrandt am Bass und Hannes Schulze am Schlagzeug. Jeder ist für sich ein exzellenter Musiker und zusammen sind sie ein bestens eingespieltes, stets kompakt und lückenlos wirkendes Ensemble, auf das man sich jederzeit blind verlassen kann. Sie kommen auf die Bühne und sofort sind da diese hör- und spürbare Qualität und der den Zuhörer umschlingende Sound. Vom Anfang bis zum Ende purer Genuss, egal welche Setlist dran ist und egal, was drumherum passiert. Wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, mag ich Engerling am liebsten pur. Andererseits weiß ich auch, dass man so ein stolzes Jubiläum gebührend zelebrieren muss, mit illustren Gästen auf der Bühne, um den über Tausend Gästen im Saal eine ganz besondere Show zu bieten.

Zunächst Engerling pur und dann mit Matze Stolpe
Los geht's, wie schon vor zwei Jahren beim 45+3-Konzert, mit einem Ausflug zurück in die Wendejahre: "Andere Zeiten" und "Herbstlied" von der 1992er LP "Egoland". Und weil das "Herbstlied" eine flotte Nummer ist, passt "Molls Party" perfekt als nächster Song und gleichzeitig als Motto für den weiteren Verlauf. Nach der besungenen Party hat unser Moll den Blues und der erste Gastmusiker des Abends seinen Auftritt: Harmonika-Virtuose Matthias "Matze" Stolpe zaubert ein paar feine Melodien, die die traurige Ballade vom Typen in seinem Erinnerungshotel, noch ein bisschen trauriger machen. Wie es im Blues halt so ist.

Punkige Grüße aus Leipzig: Makarios
Mit Holger "Makarios" Oley, Frontmann und Sänger der Leipziger Punkband "Die Art", erlebe ich für mich die erste wirkliche Überraschung des Abends. Ich bin nicht der leidenschaftlichste Freund von Punk, aber Makarios ist ein cooler Typ. Flankiert von einem weiteren Gast, dem Gitarristen Haymo Doerk, den man seit vielen Jahren getrost zur erweiterten Belegschaft von Engerling zählen darf, werden der erste Single-Hit von Engerling "Da hilft kein Jammern" von 1977 und "Alles was das Herz begehrt" von Die Art hingefetzt, wobei die heutige Bläsersektion - Andy Wieczorek am Saxophon, Ferry Grott an der Trompete und Stephan Bohm an der Posaune - dem Ganzen "von hinten" zusätzliche Dichte und Dynamik verleiht. Gefühlt sind die Bläser bei mindestens der Hälfte aller Stücke heute dabei, um zuverlässig Luftdruck zu geben und mit dem einen und anderen Solo zu brillieren.
 
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Sehr fein: Waldi Weiz
Nach diesem sehr rockigen Part wird es nun etwas, aber nur etwas, ruhiger, und mit dem Gitarristen Waldi Weiz erscheint zu meiner großen Freude ein früheres Mitglied der Band auf der großen Bühne. Die Stücke "Grüne Insel", "Nr. 48" und "Pfeif drauf", bei denen er, am rechten Bühnenrand auf einem Stuhl sitzend, mitspielt, stammen von den Alben "So oder so" und "Egoland", an denen er zunächst als Gastmusiker und dann als Bandmitglied beteiligt war. Sehr fein, vielen Dank, Waldi!

Jazzig: Pascal von Wroblewsky
Zum ikonischen Song "Tagtraum früh im Park" vom 1981er gleichnamigen Album präsentiert Engerling die ikonische Jazz-Sängerin Pascal von Wroblewsky, während Matze Stolpe ein weiteres Mal seine Harpklänge beisteuert. Wir erleben eine kunst- und gefühlvolle Interpretation dieses damals wie heute starken Songs, mit den immer wieder zum Schmunzeln reizenden Textzeilen. Mit "A Whiter Shade Of Pale" folgt noch ein überaus berühmter Klassiker der internationalen Rockgeschichte.

Engerling - Lebenselixier
Das Publikum im restlos ausverkauften Kesselhaus ist schon von Anfang an voll dabei - mal fröhlich die griffigen Zeilen mitsingend, mal verzückt den feineren Tönen lauschend. Viele im Saal erkennt man als langjährige, oft jahrelang mitgereiste Fans, von denen etliche bereits lange vor Beginn des Konzerts die ersten zwei, drei Reihen vor der Bühne "belegt" haben, mich aber doch erstaunlich tolerant mit der Kamera hin- und hergehen lassen (was mich selbst, ehrlich gesagt, sehr nerven würde). Aber so ist das eben in der Bluesgemeinde und unter Engerling-Fans vielleicht noch ganz besonders. So oder so - es herrscht gefühlte Einigkeit unter den Anwesenden, dass das hier heute Abend wieder ein ganz besonderes Erlebnis ist, das man kaum besser machen kann.
 
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Vertraute Verbündete: MasterPeace
Mit MasterPeace ergänzt nun eine komplette Band, in der Boddi neben Engerling mitwirkt, das Line-up. MasterPeace widmet sich dem Schaffen von Bob Dylan. Wir erleben die erneut verzaubernde Steffi Breiting am Gesangsmikro, den immer cooler werdenden Tobi Hillig an der Gitarre, einen aufmerksamen Walter Latupeirissa am Bass und einen quicklebendigen Toni Wendenburg am Schlagzeug. Eine sehr feine Combo ist das, wie ich aus eigenem Erleben weiß, und mit den Dylan-Songs "Master Of War" und "License To Kill" liefern sie nicht nur einen musikalischen Beitrag, sondern auch ein Statement zum Geschehen in der Welt und zur Stimmung in diesem Land. Zumindest kommt es bei mir so an und gibt mir für den Moment ein gutes Gefühl.

Überraschung: André Herzberg
Nach dem flotten "Lewi träumt" gibt es dann die für mich zweite besondere Überraschung des Abends: André Herzberg! Noch im Juli war ich bei den meisten der letzten Konzerte - und auch beim (vorerst?) allerletzten Konzert - von Pankow dabei. Das Gefühl, das ich in den Wochen danach hatte und noch heute habe, ist schwer zu beschreiben. Und nun kommt dieser charismatische Rock-and-Roll-Sänger inmitten der Engerlinge, verstärkt durch Tobi Hillig, auf die Bühne, im vertrauten Pankow-Outfit, und liefert eine bewegungsreiche Show, wie man sie von ihm kennt. "Vor dem letzten Knall", von seinem Solodebüt 1991, entstand damals vor dem Hintergrund des Irakkrieges, hatte er mal der Presse gesagt. Gleich darauf schmettern sie die Beatles-Nummer "Back In The USSR" in einer rockenden und fetzenden Interpretation hinterher. Ganz stark!

Aus den frühen Jahren: Kuhle, Lello, Krex
Der Reigen der Gäste setzt sich fort mit dem Ex-Engerling- und Ex-Monokel-Gitarristen Bernd "Kuhle" Kühnert. "In Memory of Elizabeth Reed" von den Allman Brothers hat er sich ausgesucht, weil er den Song schon immer mal spielen wollte, wie er sagt. Danach stößt sein alter Kumpan Rainer "Lello" Lojewski zum Ensemble und nimmt am zweiten Schlagzeug Platz. Auch Lello war einst ein Engerling und später bei Monokel. Kuhle und Lello im Doppelpack trifft man häufig bei hiesigen Musikveranstaltungen - ob auf der Bühne oder im Publikum, immer gut gelaunt, immer echt die coolen Typen und auch ihnen scheint das "Lebenselixier" ewige Jugend zu bescheren. Zudem reiht sich jetzt auch Gunther Krex am Bass ein, der Anfang der Achtziger bei Engerling war und die LP "Tagtraum …" mit eingespielt hatte. In dieser Formation geht's mit "Sechs Tage auf dem Rad", "Die dünne Haut" und "Blues vom Roten Hahn" zurück in die Siebziger. Es knallt, es bluest, es rockt - mit zwei Drummern im Rücken macht die Band ordentlich Druck - und man kommt als Publikum kaum hinterher. Was für ein Fest!
 
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Großartiges Finale
Das wunderschöne "So oder so" nimmt etwas Tempo aus dem Geschehen und zeigt zwischendurch mal wieder, dass Engerling eigentlich keine Verstärkung braucht, um großartig zu sein. Großartig ist auch einer meiner ewigen Favoriten, das "Muschellied", zu dem sich wiederum Haymo Doerk als Mitspieler einfindet.

Ein äußerst straffes und ausgesprochen kurzweiliges Jubiläumskonzert nähert sich seinem Ende, und nach "Don't Want You no more" von den Allman Brothers wird die Bühne noch einmal so richtig voll, als sich alle Mitwirkenden versammeln, um gemeinsam die Überhymne "Like A Rolling Stone" zu zelebrieren. Mächtig gewaltig - und neben dem musikalischen Erlebnis auch sehr schön anzusehen, diese riesige Jubiläumsband mit so vielen vertrauten Gesichtern, in schönster Harmonie.

Nach langem Applaus leert sich die Bühne - aber freilich gibt's noch Zugaben, nämlich von Engerling pur und dem anfangs schon erwähnten Stück "Mama Wilson", dem großen Hit "Narkose Blues" aus der Mitte der Achtziger und ganz zum Schluss - man kennt es von vielen Konzerten - "Hat nichts gebracht", bei dem die Musiker einer nach dem anderen von der Bühne gehen. Zuletzt geht Hannes, der Jüngste im Bunde …
 
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Danke!
Das war ein musikalisch äußerst reichhaltiges, sehr spannendes, unterhaltsames und hochwertiges Jubiläumskonzert! Es war recht lang, ohne je unter Längen zu leiden - ich kann mich auch gar nicht daran erinnern, dass es tatsächlich eine Pause gegeben hatte. Engerling haben nicht nur ihre eigenen Qualitäten unterstrichen, sondern sich erneut auch als geschickte Arrangeure größerer Programmbögen bewiesen, mit reizvollen personellen Akzenten und kleinen stilistischen Exkursen. Vielen Dank für diesen würdigen, sehr gelungenen Abend - für dieses großartige Geschenk!

"Du bringst mich besser nach Hause heut Nacht ... hat nichts gebracht", hieß es im letzten Lied. Das ist der Humor, den man von Engerling kennt. Ich denke, ich bin einer von sehr vielen Musikfreunden, denen jede Nacht mit Engerling etwas bringt und mit auf den Weg gibt. Es ist wohl so etwas wie Gewissheit und Zuversicht - das seit langem Vertraute, das Gute, das Schöne und das Erbauliche, das es immer geben wird.






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