Die Hagström HIIN –
Herbert Dreilichs
legendäre Rote
Ein Beitrag mit Fotos von Patrick Baumbach
Lange bevor Herbert Dreilich als die Stimme von KARAT berühmt wurde, hatte er sich als versierter Gitarrist in der DDR-Musikszene einen Namen gemacht. Mit Ausdruck, Gefühl und technischer Finesse prägte er zunächst Bands wie die Jazz Youngsters, die Alexanders und schließlich Panta Rhei – allesamt Gruppen, in denen er nicht nur einfach spielte, sondern auch aktiv an der musikalischen Gestaltung beteiligt war. Seine klassische Ausbildung an der Harfe verlieh seinem Gitarrenspiel – insbesondere beim Fingerpicking – eine besondere Leichtigkeit und Präzision, was beispielsweise in den filigran gezupften ersten Strophen des „Albatros“ bis heute hörbar ist. Besonders zur Geltung kommen seine Gitarrenkünste aber auf den Aufnahmen von Panta Rhei, dem „Vorgängerprojekt“ von KARAT. Dort begegnet uns Herbert als expressiver, mitunter kompromissloser Gitarrist. Die aggressiven, teils psychedelischen Läufe in „Tuyet“ oder „Gib dir selber eine Chance“ stehen im Kontrast zu sanft-atmosphärischen Klängen in Titeln wie „Nachts“ oder „Über mich“. All diese Stücke zeugen von einem Musiker, der sein Instrument nicht nur beherrschte, sondern mit ihm erzählte.

In der Frühphase – sowohl bei den Alexanders als auch in der ersten Zeit von Panta Rhei – griff Herbert noch zu einer halbakustischen Archtop-Gitarre. Danach, von 1972 bis 1976, spielte er überwiegend auf einer rot lackierten Hagström HIIN, Baujahr 1971: ein skandinavischer Exot in der DDR-Musikszene. Sein Amp – ein Laney LA100BL - war ein britischer 100-Watt-Röhrenbolide aus der legendären Supergroup-Serie, bekannt für seinen durchsetzungsstarken, rauen Klang. Mit seinen EL34-Endstufenröhren lieferte er genau den kernigen, fuzznahen Ton, den man etwa in „Alles fließt“ oder „Hier wie nebenan“ hört – unverschnörkelt, direkt, manchmal fast wütend.
Herberts Hagström wurde in Schweden gebaut und ist ein Modell aus der sogenannten „H-IIN“ Reihe, die zwischen 1970 und 1976 produziert wurde. Es handelt sich um eine Solidbody-E-Gitarre mit zwei Humbuckern, einem geschraubten Hals und einem dünnen, flachen Korpus aus Mahagoni. Die Halsplatte trug eine Seriennummer, was die Datierung erleichtert. Bei Herberts Gitarre lautet sie 820213. Der Look war eindeutig an Gibsons SG angelehnt – mit zwei Cutaways, schlankem Korpus und rockiger Präsenz. Angus Young, später weltberühmt mit seiner Gibson SG, griff in frühen Jahren ebenfalls zu diesem Gitarrentyp. Die HIIN zeichnete sich durch ein schlankes Halsprofil aus und war bekannt für ihre sehr gute Bespielbarkeit, insbesondere für schnelle Soli und filigrane Läufe.
In der DDR war Hagström eine der wenigen westlichen Marken, die überhaupt einigermaßen erhältlich waren – wenn auch nur sporadisch und zu hohen Preisen. Das skandinavische Herkunftsland Schweden galt als politisch neutral und unterhielt Handelsbeziehungen zur DDR, was den Import einzelner Instrumente ermöglichte. Während Marken wie Fender oder Gibson für viele Musiker unerreichbar blieben, galt Hagström als begehrte Alternative: hochwertig verarbeitet, klanglich vielseitig und im Design modern. Die Hagström war über mehrere Jahre hinweg Herberts zentrales Arbeitsinstrument – sowohl im Studio als auch auf der Bühne. Sie prägte nicht nur den Sound des einzigen Panta-Rhei-Albums, sondern ist auch auf zahlreichen Rundfunkproduktionen jener Jahre zu hören. Auch live kam sie regelmäßig zum Einsatz – sowohl bei Panta Rhei als auch in der frühen Zeit von KARAT. Es liegt nahe, dass sie auch bei den allerersten Studioaufnahmen der neuen Band zu hören ist und beim Debütkonzert von Karat am 22. Februar 1975 die Bühne rockte.
Foto: Benjamin Weinkauf
Etwa 1976 – parallel zu Herberts zunehmender Fokussierung auf den Gesang bei KARAT – verschwand die rote Hagström von der Bühne. Danach war Herbert meist mit einer schwarzen Les Paul zu sehen, bis er die E-Gitarre fast gänzlich zugunsten des Gesangs beiseitelegte. Die Hagström wechselte vermutlich noch in den späten 1970er Jahren den Besitzer. In den 1980er Jahren fand sie sich im westbrandenburgischen Rathenow wieder, wo sie in der Tanzband „Calypso“ gespielt wurde. Vor kurzem – nach über 50 Jahren bewegter Geschichte – ist die Gitarre nun in meinen Besitz übergegangen.
Trotz ihres Alters zeigte sich die Hagström in einem erstaunlich originalen Zustand, zwar mit einiger Patina, aber mit intaktem Fundament. Der stark geschädigte Sattel musste allerdings ersetzt werden. Das verbundwerkstoffartige Material hatte sich im Laufe der Jahrzehnte laminatartig in einzelne Splitter aufgelöst – eine Reparatur bzw. Rekonstruktion war nicht mehr möglich und sinnvoll. Ich entschied mich daher für einen modernen Graph Tech-Sattel, der sich mit seinem warmen Vintage-Farbton auch optisch dezent ins Gesamtbild einfügt. Die Potis wurden mit etwas Kontaktspray wieder gangbar gemacht, die Elektronik blieb ansonsten unberührt. Nur der charakteristische kleine Schiebeschalter – einst als Kill-Switch (eine Art Ein- und Ausschalter) gedacht – war schwer gezeichnet: Der Kunststoff bröselte mir nach wenigen Betätigungsversuchen regelrecht entgegen. Inzwischen wurde der Schalter vollständig ersetzt – technisch wieder einwandfrei und optisch unauffällig (da baugleich). Bemerkenswert ist dabei die originale Verdrahtung: Die Masseverbindung verläuft nicht über ein separates Kabel, sondern über eine metallbeschichtete Trägerplatte, die die gesamte Unterseite des Schlagbretts abdeckt. Diese Art der elektrischen Kontaktführung ist technisch ungewöhnlich und bei anderen Herstellern jener Zeit kaum zu finden – ein Beispiel für die eigenständige Herangehensweise Hagströms an Konstruktion und Funktionalität.

Die Perloid-Dots im Griffbrett haben im Laufe der Jahrzehnte ihren ursprünglichen Glanz verloren und zeigen sich nun matt-weiß. Hinzu kommen einige Macken, Kratzer und Lackabschürfungen als sichtbare Spuren eines langen Instrumentenlebens. Dennoch ist der Gesamtzustand bemerkenswert gut: Vor allem das Mahagoniholz schimmert noch immer wunderschön unter der nach wie vor lebendig roten Lackierung. Ich habe das komplette Instrument gründlich gereinigt und aufpoliert. Der zuvor improvisierte Saitenniederhalter eines Vorbesitzers wurde entfernt und durch ein originalgetreues Ersatzteil ersetzt – ein authentischer Hagström-String-Retainer aus exakt jener Zeit, in der auch die Gitarre gebaut wurde. Ich habe das Teil eigens aus einem auf Vintage-Gitarren spezialisierten Geschäft in Brooklyn, New York City, bezogen – ein Aufwand, der sich für die historische Authentizität aber mehr als gelohnt hat. Auch das ursprüngliche Hagström Tremar-Vibrato wurde wieder gangbar gemacht. Dieses charakteristische System – eine firmeneigene Konstruktion mit elegantem Arm und federnder Rückführung – erlaubt feine Vibratoeffekte, ohne die Saiten stark zu verstimmen. Es ist deutlich filigraner als ein Bigsby, aber stabiler als viele einfache Vintage-Systeme, und gehört fest zum Klang- und Stilbild vieler Hagström-Gitarren dieser Ära.
Alles in allem war es keine Restaurierung im klassischen Sinne, sondern eher eine behutsame Wiederbelebung – mit dem Ziel, möglichst viel Substanz zu erhalten und nur das Notwendige zu erneuern. Die Gitarre spielt sich übrigens nach all den Jahren noch sehr angenehm: Der Hals ist trotz seines Alters gerade geblieben, das Profil liegt komfortabel in der Hand und die Saitenlage erlaubt ein bequemes Spiel. Auch klanglich überzeugt das Instrument mit einem charakteristisch gefärbten Ton. Die beiden Humbucker liefern einen recht eigenständigen mittigen Sound mit klarer Ansprache. Die Hagström eignet sich gleichermaßen für hart rockende Passagen, für funkig-transparente Rhythmen wie auch für singende Cleansounds, wie man sie etwa im Jazz schätzt.
Schaut man ganz genau hin, offenbart dieses Instrument einige charmante Eigenheiten, die es unverwechselbar machen; typische Fertigungstoleranzen jener Zeit. Damals wurden Gitarren oft noch in verhältnismäßig kleinen Serien handwerklich gefertigt, mit gelegentlichen Abweichungen vom Idealmaß. Im Fall dieses Instruments gehören dazu ein leicht schräg montierter Saitenniederhalter (links etwas tiefer eingeschraubt als rechts), ein etwas weiter zur Diskantseite (also rechts) versetzter Dot im 19. Bund sowie der 22. Bundstab, der nicht exakt parallel zu den übrigen verläuft, sondern sich leicht nach rechts oben neigt. Es sind genau diese kleinen Abweichungen, die – in ihrer Kombination – eine Art unverwechselbaren Fingerabdruck ergeben. Und tatsächlich lassen sich all diese Details auch auf alten Video- und Fotoaufnahmen aus der Panta-Rhei- bzw. frühen Karat-Zeit erkennen.

Und so schließt sich ein Kreis: Ein Stück deutscher Rockgeschichte ist in Händen, die seine Vergangenheit kennen und seine Geschichte schätzen und weitertragen. Als ich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres an meinem Buch „Musik, die Brücken baut – Eine Reise durch die Werke der Kultband Karat“ arbeitete, das im März dieses Jahres erschienen ist, habe ich mich intensiv mit dem Instrumentarium der Band beschäftigt. Schon damals fiel mir in alten Videoaufnahmen die rote Hagström-Gitarre ins Auge. Dass eben dieses Instrument nun wenige Monate später tatsächlich bei mir landet – und das auch noch im 50. Jubiläumsjahr der Band – ist ein kaum zu fassender Zufall. Und man spürt sie noch, die Energie der frühen 70er – wenn auch nicht mehr auf der großen Bühne, so doch mit Ehrfurcht und Freude im heimischen Studio. Aber wer weiß – vielleicht führe ich sie eines Tages doch wieder zurück ins Rampenlicht. „Nachts“ spiele ich jedenfalls schon ganz passabel …
